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Die reduktive Moderne

Die reduktive Moderne

So wenig wie möglich – oder etwas akademischer ausgedrückt: die reduktive Moderne. Daran glaubt das Deutsch-Dänische Architektenpaar Professorin Mikala Holme Samsøe und Professor Amandus Samsøe Sattler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e.V.) und Gründungspartner von Allmann Sattler Wappner Architekten. Die Beiden experimentieren sowohl beruflich als auch privat auf der Suche nach einem Weg aus unserer expansiven Gegenwart in der Architektur.

Wo stehen wir heute bei Fragen der Nachhaltigkeit in der Architektur?

Mikala: „Was wir nicht wahrhaben wollen, ist das Problem, dass die Materialien, die wir für unsere Zukunft benötigen, heute schon verbaut sind. Wir müssen auf sinnvolle Art und Weise die Materialien, die schon in Häusern verbaut sind, wieder herausnehmen können oder sie einfach reparieren und dort lassen.”
Amandus: “Das Top-Thema gerade ist, dass wir die CO2-Emissionen wegen des Klimaschutzes senken müssen. Heute! Nicht in 10 Jahren. Wir brauchen die CO2-Reduzierung sofort, und die bekommen wir nur, indem wir mehr Gebäudesubstanz erhalten; weniger neu bauen; die Häuser nutzen, die es schon gibt – und zwar jetzt. Wir als ArchitektInnen sind mit unserer Planungspraxis gewiss Teil des Problems von zu hohen CO2-Emissionen. Die gute Nachricht aber ist, dass wir aber auch Teil der Lösung werden können.”

Mikala: “Wie könnte die Zukunft aussehen? Es gibt in der Nachhaltigkeitsdebatte generell drei Ansätze: Der erste ist die Rettung durch technische Lösungen. Der zweite besteht daraus, ein Substitut zu machen, also z.B. andere Materialien anwenden anstelle der problematischen. Der dritte Ansatz ist die Reduktion oder Suffizienz. Alle drei brauchen wir. Wir beide sehen aber kein wirksameres Mittel als erheblich mehr mit Reduktion zu arbeiten. Deswegen: Die reduktive Moderne als Gegenpol zu der Gegenwart, die von Expansion geprägt ist. Wenn man an die reduktive Moderne denkt, ist eine VOLA-Armatur ein gutes Beispiel dafür. Sie hat keinen Schickschnack, sondern eine zeitlose und diskrete Eleganz, die bereits einige Modewellen überlebt hat. Die Armatur hat nur das, was man genau braucht – und reduziert das Ausfließen von so etwas grundlegendem wie Wasser zu einem Akt geprägt von Klarheit und Feinheit. Die Armatur hat dieses Puristische an sich.”

Amandus: ”Wir sind der Meinung, dass das Einfache komplizierten technischen Konzepten überlegen ist. 

Ingenieure haben viele Jahre darauf verwendet, alles zu optimieren. Aber nur mit dem Blick auf die optimale technische Performance. Wir wollen versuchen, wieder einfacher zu bauen, aufhören in Schichten, mit vielen zusammengeklebten und nicht wieder trennbaren Materialien, zu arbeiten. Es geht darum, dass wir die Materialien sortenrein und monolithisch nutzen. Eine dicke Ziegelwand von z.B. fünfzig Zentimetern ist ein hervorragendes Beispiel. Was kann Ziegel? Er schafft gesundes Wohnklima und robuste, pflegeleichte Häuser. Wenn die Mauer dick genug ist, und die Öffnungen optimal eingeplant sind, brauchen Wohnungen und Büros keine Heizung oder Kühlung mehr. Es gibt bereits gebaute Beispiele von Büros, die ohne Heizung und mechanische Belüftung ihre Nutzer warm und gesund halten können. Nur nach den Weihnachtsferien ist es ein bisschen kühl, weil die Mitarbeiter nicht im Büro waren, und die Computer auch nicht gelaufen sind. Dann muss man ein paar Tage einen Pulli anziehen. Passive, natürliche Systeme sind geprägt von Langlebigkeit im Vergleich zu technischen Lösungen, die nur wenige Jahren halten“.


Ihr experimentiert nicht nur in der Praxis, sondern auch privat. Was macht ihr?

Mikala: “Privat nehmen wir gerade eigene Medizin: “Wir sind dabei eine heruntergekommene Altbauwohnung aus der Gründerzeit in Berlin bewohnbar zu machen. Dabei machen wir so wenig wie möglich. Wenn etwas hinzugefügt wird, ist das Ziel, dass es gebraucht ist um unnötige Inhaltsstoffe und Oberflächenbehandlungen zu vermeiden.”

“Du könntest bei dem Grundriss so viel ändern. Es gibt viele, tolle Ideen. Du könntest die Küche nach vorne verlegen; Du hättest sicherlich das Bad erweitern können. Das ist alles machbar und auch normal. Das wird jeder Handwerker auch gerne für Dich machen. Es ist auch bezahlbar. Trotzdem ist es ein erheblicher Aufwand und hat etwas Unlogisches, wenn Abwasser und Leitungen durch die Wohnung spazieren geführt werden. So besinnen wir uns auf das Vorhandene und Wesentliche. Wir sind froh über die kleine Küche auf der Nordseite, weil die gut proportioniert ist, gemütlich und an der Küchentreppe liegt, was auch gut ist. Da bauen wir nicht um.”

Amandus: “Das Bad war früher der kleinste Raum in der Wohnung. Jetzt ist es nicht außergewöhnlich darüber nachzudenken, ob es nicht mehr Quadratmeter haben sollte. Es ist eben auch normal, ein Bad mit Badewanne und Dusche und Doppelwaschbecken auszustatten. Die Gesellschaft hat sich neue Bilder von Notwendigkeit und Komfort geformt. Wir haben zehn Mal das Bad in unserer Wohnung umgeplant, gedanklich erweitert und Türen versetzt, bis wir alles so gelassen haben, wie es war. Mit 4-5 Quadratmetern und einer normal kleinen Duschtasse, in der man ja auch herrlich plantschen kann. Und wir machen kein Gäste-WC, was heute wirklich gefragt ist - das ist Standard. Wir brauchen neue Narrative der Nachhaltigkeit. Das Badezimmer muss nicht unbedingt der Wellness-Tempel mit Meeresblick sein.”

Mikala: “Nun, die Probleme sind nicht nur in unseren Köpfen, sondern auch praktischer Natur: Transport, fehlende Einbauteile, sowie Widerstand auf der Baustelle: Ein kleines Beispiel für große systemische Herausforderungen, wenn wir auf Kreislaufwirtschaft umsteigen, ist: Wir besorgen uns ein gebrauchtes Waschbecken aus den 60´er für wenig Geld über Kleinanzeigen in Dänemark. Wir sind von unserem Sommerhaus in Dänemark in der Nähe von Køge nach Lyngby gefahren. Es hat einen Vormittag gedauert.
Wir haben diese und weitere gebrauchte Dinge abgeholt. Wunderschön. Das Waschbecken ist ein Standardteil aus schwedischer Herstellung, dazu wird die klassische VOLA-Armatur sehr gut passen. Wir bringen es ein paar Wochen später nach Berlin. Wie uns der Hersteller mitteilte, passt das Becken leider nicht zu den gängigen Montagewinkel für die Wandbefestigung, weil es ein altes Waschbecken ist. Aber unser Handwerker ist bereit eine Sonderlösung für uns zu bauen. Alles gut - und das Waschbecken wird auf der Baustelle gelagert. Nun, beim nächsten Besuch auf der Baustelle ist das Waschbecken weg! Das gebrauchte Waschbecken wurde ohne neuwertige Verpackung als Müll eingestuft und ein anderer Handwerker hat es entsorgt.”

Amandus: “Die Strategie, dass wir - wenn wir unsere Wohnung renovieren - etwas Gebrauchtes einbauen und nutzen wollen, kann kaum jemand auf der Baustelle verstehen.”

“Das gebrauchte Produkt ist sehr günstig, aber niemand möchte die Arbeitszeit für Anpassung und Transport investieren, geschweige denn für den Einbau die Gewährleistung übernehmen. Arbeitszeit für Gebrauchtes zu investieren, ist aber auch die Chance für unsere Zukunft. Es zeigt, wie wir die Menschen beschäftigen und Geld für etwas ausgeben können, weil wir es als wertvoll erachten. Das ist ein zentraler Teil des zirkulären Denkens. Es muss eine Verschiebung stattfindet, von der Investition in Neues Material zur Investition in menschliche Arbeit.”


Wie experimentiert Ihr beruflich?

Amandus: „Privat können wir an die Grenzen gehen, übernehmen das Risiko und den zeitlichen Mehraufwand. Das ist eine wichtige Erfahrung, die uns wappnet, wenn wir gemeinsam mit unseren AuftraggeberInnen und MitarbeiterInnen die Reduktion in der Praxis umsetzen können.

”Mikala beschreitet aktuell gemeinsam mit dem Bayerischen Staat neue Wege in einem Pilotprojekt. Ihre Architekturstudierenden an der Hochschule Augsburg registrieren gut erhaltende Bauteile von einem Abbruchgebäude und entwerfen damit ein neues Gebäude. Das interessante ist, dass dank ihrer Initiative der Bayerische Staat zum ersten Mal Bauteile zum Verkauf anbietet und damit einen Beitrag zum vernünftigeren Umgang mit Ressourcen und Energie leistet.

Mikala: „Es ist ein Gebäude, ein Teil der Bayerischen Staatsbibliothek, das abgerissen wird. Normalerweise wird alles sortiert, auf den Müll geworfen, im besten Fall downgecycled. Die Studierenden registrieren die Bauteile, die woanders weiterverwendet werden können, mit Hilfe der jungen deutschen Firma Concular, die die größte Plattform für Vermittlung von gebrauchten Bauteilen in Europa ist.“


Welche Erfahrung machen die kommenden ArchitektInnen damit?

Mikala: „Das Interessante ist die Veränderung, die in unseren Köpfen stattfindet. Es geht um ein Alltagsgebäude aus den 1950er Jahre. Es gibt schöne Bauteile, wie Granitfliesen und ein feines Treppengeländer, die man direkt wieder einbauen kann. Es gibt aber auch völlig unspektakuläre Verbundglas-Holzfenster oder Fassadenmaterialien. Diese können in einem neuen Glanz erscheinen, wenn man sie sorgsam aufarbeitet und sie auch technisch erneuert. Und es gibt Bauelemente, die man unmittelbar nicht als schön empfindet. Wie Holztüren, vielleicht von den 1990er Jahren, die gut erhalten sind, die man heute in einem Neubau nicht mehr verwenden würde. Wenn die Studierenden diese Bauteile registrieren, verstehen sie langsam den Wert von gebrauchten Materialien und fangen an, über den Modebegriff zu reflektieren und sagen: Na ja, eine türkisfarbene Tür ist im Moment vielleicht nicht modern, aber sie ist gut gebaut und eigentlich wertvoll. Sie gehen dann einen Schritt weiter und suchen nach eine Gestaltung, bei der die Tür passt. Also design follows availabilty.“


Es ist also auch eine Frage der Mode?

Mikala: „Die Frage der Mode und Schnelllebigkeit ist eine wichtige Frage für die Zukunft: Was uns gefällt und was uns nicht gefällt. Können wir mit den Materialien der vergangenen Jahrzehnte auch heute leben?
Können wir daraus etwas Neues machen oder einfach die Vergangenheit schätzen? Wir werden eine höhere Akzeptanz des Eklektizismus erleben. Das collagenhafte in der Architektur kann nachvollzogen werden, wenn man versteht, warum es so gestaltet ist.“

Amandus: “Wie müssen wir heute bauen, dass wir in 30 Jahren diese Häuser noch lieben und gerne benutzen wollen? Das ist auch eine philosophische Frage, über das was Schönheit ist. Damit setzen wir uns in der Architektur konkret auseinander. Die Antwort ist ein Qualitätsbegriff, der Bestand hat und Moden überlebt. Es geht darum die wertvollen Ressourcen so zu verbauen, dass auch Schönheit und damit Langlebigkeit entstehen kann.“

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